Nun ist es schon 30 Jahre her, als meine Verwandten aus der damaligen DDR zu ihrem ersten unkomplizierten Besuch zu uns nach Hamburg kamen. Glückliche Gesichter bei allen, und das lag auch an den für sie unglaublichen Einkaufserlebnissen, die sich gegenseitig nahezu übertrumpften. Wir besuchten natürlich den Hamburger Hafen und dort den Fischmarkt mit seinem üppigen Angeboten. Flotte Sprüche von Aale Dieter ließen uns stoppen, so viel lockere Frivolität hatten meine Verwandten noch nie beim Marktbummel gehört und dazu überschlug sich sein Aal-Angebot in
rasanter Geschwindigkeit. Schnell, schnell jetzt zulangen, bevor es ihm anders einfällt, meinte Tante Adelheid aufgeregt.
Jo, jo murmelt Onkel Willi das ist wohl Marktwirtschaft, bei uns gab’s ja nur den sturen Plan und selten Vergnügen. Sie staunten und kauften, nicht nur Fisch, auch exotische Früchte in großen Körben mussten es sein. Diese waren besonders interessant, da sie ihnen komplett unbekannt waren. Später ging es auf den Hamburger Dom mit seinen rasanten Fahrgeschäften. Zuckerwatte & Co. waren keine Unbekannten für meine Verwandten, aber die Größe des Volksfestes mit seinen vielen Darbietungen und ganz besonders die großen Fahrgeschäfte machten enormen Eindruck.
Nun sollte noch ein leckeres Essen den Tag abrunden. Im großen Zelt, an langen Holztischen fanden wir uns ein, um exotische Tellergerichte zu bestellen. Mit großem Appetit freuten sich alle auf die Mahlzeit. Meinem Cousin schmeckte sein ausgewähltes Gericht besonders gut, bis er sich unglaublich verschluckte und schließlich die Augen verdrehte. Besorgt schauten wir ihn an und fragten, was denn mit seinem Essen nicht in Ordnung sei. Er sagte, er habe so eine ovale Kugel im Mund gehabt, die schmeckte salzig und komisch. Vor Schreck hätte er sie fast direkt ausgespuckt. Wir staunten und starrten auf seinen Teller. Sodann entdeckte er eine weitere "ovale Kugel" und zeigte sie uns. Uns Hamburgern war sofort klar, worum es hier ging, aber meine Verwandtschaft kannte sie noch nicht, die köstliche Olive! Und die Olive schmeckt nun wirklich komplett anders, als die von meinem Cousin vermutete Weintraube! Nachdem das Rätsel gelöst war, wagte er sich mutig an die nächsten Oliven heran und konnte gemeinsam mit uns herzhaft über sein "Ess-Erlebnis" lachen. Bis heute denken wir gemeinsam an die aufregende Zeit nach der Wende, wie unser Essen mit seinen Zutaten, unser Fischmarkt und unser Dom, seitdem unumstößlich zu unserer Geschichte wurde. BGB
Zum Motiv: Die Weintrauben meiner Verwandten
Foto©Barbara Gitschel-Bellwinkel